Entwurfsarbeit gestalten, Gestaltungsarbeit entwerfen

Das Hochschul-Netzwerk Deep2 ist der Entwurfsgestaltung im Zeitalter der KI gewidmet. Wie ändert sich der Entwurf? Kommt mittels KI die Vision direkter in die Welt? Wie und was sollen Kreative in Zukunft lernen und arbeiten?
KI bringt Befürchtungen und reale Gefahren mit sich. Dies führt oft zu Strategien des Widerstands, zu fragwürdigen Kursen und Verboten, statt zu neugierigen Experimenten und Pilotversuchen. Wir sollten Ansätze suchen, um diese radikale Technologie zu zähmen.

Zugang
Ich habe angefangen als Bildhauer in der SfG Basel und der Kunstakademie Düsseldorf, und habe dann am RCA London einen Masterstudiengang als Produktdesigner absolviert, wo ich mich als Fremdkörper in einer reinen Ingenieur-Kultur fand. Das war sehr spannend für mich, mich als Exoten zu erleben, und das wäre ich gerne auch in dieser Publikation, denn das kann eine ganz gute Rolle sein.

Ich will versuchen zu schildern, wie ich seit nunmehr 18 Monaten KI als Entwurfsmittel nutze und wie drastisch sich dieses so junge Arbeitsfeld und mein Zugang dazu verändert haben in dieser kurzer Zeit. Ich hänge zwischen Entsetzen und Begeisterung, bin beunruhigt, was da geschieht mit meiner Rolle als Gestalter. Ich habe in den letzten sechs Monaten begonnen, das Hochschul-Netzwerk Deep2 http://deep2.design hochzuziehen, um dieses Potenzial in den Griff zu bekommen, bevor es uns abschafft.

Meine Studienzeit am RCA von 1976-78 war der Gestaltung des damals aufkommenden Digitalen gewidmet, und dieser Kernfrage bin ich bis heute treu geblieben, vom Schreiben von Handbüchern über die Arbeit mit Unix-Workstations, zum Aufbau vom Postindustrial Design Institut HyperWerk HGK FHNW, zur Arbeit mit Robotik und VR. Vor zwei Jahren habe ich mich der aufkommenden Bewegung einer KI-Nutzung im Designbereich angeschlossen, und darüber will ich hier berichten.

Einstieg
im Mai 22 habe ich angefangen, mit MidJourney erste Standbilder für meine Storyboards zu generieren. Im September 22 ist dann Stable Diffusion in die Welt gekommen, und vieles wurde anders. Der Wechsel zum Open Source Werkzeug hat sehr viel gebracht, plötzlich sah ich mich getragen von einer vitalen Gemeinschaft von Instituten, die ihre Forschungsprojekte veröffentlichen, mit welchen ich in den Austausch treten konnte. Ich erlebe diese freundliche Szene als Revival meiner ersten magischen Internet-Erfahrung von 1986, finde mich wieder in der tröstlichen Welt einer solidarischen akademischen Recherche.

Kreativarbeit im KI unterstützten Entwurf
Dank KI hat sich die Welt der Entwurfsarbeit drastisch verändert. Nun gilt es in erster Linie, neue Entwurfsvorgänge zu gestalten, frische Ansätze zur Ideengenerierung und direkten Visionsumsetzung zu suchen, einen gänzlich neuen Weg also, der die alte Mühsal der CAD-Umsetzung in ein kreatives Spiel zu transformieren vermag.

Dank der KI verfügen wir erstmals über brauchbare Weltmodelle. Ihre Assoziationsnetze verdichten Bilder und Texte, Bewegungen und Emotionen, Töne und Muster in multimodalen Ueberlagerungen zum Ganzen. Manche dieser Modelle beherrschen hunderte von Sprachen, was kulturelle Nischen sichtbar machen oder auch flachwalzen kann. Die bisherige Vielfalt von Kulturräumen, Gepflogenheiten, Handwerkstechniken und Traditionen in KI-Bibliotheken zu erhalten und abzubilden, sollte als wesentliche Aufgabe angegangen werden.

Handwerkssynthese
Seit Jahren fasziniert mich die ethnografische Sammlung vom Museum der Kulturen Basel, die aus 350.000 Handwerksobjekten aus indigenen Kulturen besteht. Was macht man damit, wie nutzt man dieses Wissen für die Gegenwart, das habe ich mich immer gefragt. Nun sah ich eine Chance, dieses nachhaltige Handwerkswissen mit der KI zu extrahieren. Und das hat dann bestens funktioniert. Es reicht, und das war für mich schockierend, etwa 100 Bildchen eines Handwerks dem Rechner zu liefern, um ihn zu befähigen, im Geiste dieses Handwerks weitere Entwürfe auszugeben. Ich habe vierzig solche Bibliotheken angelegt, zu viktorianischer Silberschmiedekunst, Formen des Webens und Flechtens, Murano-Glas und Sushi-Produktion. Solche Bibliotheken lassen sich beliebig mischen, um synthetische Handwerksformen zu generieren.

Hier habe ich die KI mit einer Flechtanleitung ausgestattet und dann von ihr verlangt, mit Bambus einen VW-Käfer in Mumbai provisorisch zu flicken.

Während ich meine Bibliotheken noch rund um Handwerk und Materialien aufgebaut hatte, kommen jetzt immer mehr Ansätze auf, die auf den gesamtheitlichen Ausdruck abzielen. Auf der Website civit.ai findet sich eine lange Reihe solcher expressiver Modelle, die das ganze Spektrum von Punk zu Bauhaus abdecken. Ihre Unterschiedlichkeiten werden jeweils deutlich durch gestylte Kaffeemaschinen, wovon aktuell 115 Versionen angeboten werden. Wie sich diese Überlagerung kultureller Randphänomene in neuen Geschmacksrichtungen abbilden wird, lässt sich kaum sagen. Qui vivra, verra!

Im Dialog mit der eigenen Vision
Als ehemaliger Bildhauer bin ich dem Soliden verbunden, und habe mich deshalb an die Firma Ecoparts als das größte Schweizer Metalldruck-Unternehmen gewandt, mit der Bitte um eine forschende Zusammenarbeit. Als Briefbeilage habe ich aus etwa vierzig aus dem Web zusammengestellten Bildern 3D-gedruckter Metallteile eine kleine Library gemacht und gezeigt, wie ich damit neue Entwürfe generieren kann, die mein ganzes CAD-Wissen eigentlich überstiegen hätten.

Dabei habe ich begriffen, wie mich all die CAD-Werkzeuge, von Rhino zu Blender zu Unreal, die ich mir in meinen Jahrzehnten als Designer angeeignet hatte, eingeschränkt haben. Wieviel sinnlicher ist es doch, sich im Dialog mit einer KI seinen Wünschen annähern zu können, ohne diese ganze mühselige Arbeit, mit der man seine Vorstellung umsetzen musste in einzelne Ansichten. Es ist befriedigender, sich mit einem Entwurfssystem über ein Ganzes zu unterhalten und sich auf diese dialogische Weise rasch und elegant seiner Vision annähern zu können.
Es ist sehr viel einfacher, derart komplexe Geometrien aus einer sprachlich umschriebenen Vision zu generieren statt sie zu konstruieren.

Den Möglichkeitsraum nutzen
Wesentlich dabei ist, dass man nicht mehr seinen Kopf durchsetzen muss, sondern dass man sagen kann, mach doch mal zwanzig Objekte, die meinen Kriterien entsprechen und woraus ich dann auswählen kann. Diese Annäherung im Möglichkeitsraum wirkt anregend, sie erweitert das eigene Denken. Doch auch hier liegen die Tücken im Details: Nur weil man ein KI-generiertes Bildchen hat, hat man noch lange kein Mesh als 3D-druckbare Daten. Ich habe deshalb angefangen mit Depth-Maps zu arbeiten. Das sind KI unterstützte Tiefenkarten, die zumindest ein räumliches Hochziehen von Halbreliefs aus zweidimensionalen Renderings erlauben.

Das ist ein Foto einer Fabrikationshalle, das ich gemacht habe bei meinem ersten Fabrikbesuch bei EcoParts. Und dann habe ich das mit so einer Depth-Map in ein Reliefmesh verwandelt. Da kann man jetzt plötzlich jedes Foto nehmen und in den Raum ausdehnen. Und das finde ich extrem spannend, was da an gestalterischem Potenzial drin liegt.

Also habe ich der Firma gesagt, macht doch eine Vase aus diesem Foto, als Weihnachts-geschenk, und nutzt die Stützstrukturen als euer kennzeichnendes Gestaltungsmerkmal, anstatt sie mühsam abzuschleifen. Und baut auf diese Weise einen Standfuss für die Vase. Dann kann man Wasser reinfüllen, eine Blume reinstecken, und schon hat man ein vorzeigbares Geschenk.

Hard-, Soft-, Wetware
Nicht warten ist die erste Regel im Umgang mit der KI. Weil diese Regel so fundamental ist, wiederhole ich sie: Warten Sie nicht auf das nächste Budget, das nächste Institutsleitertreffen, beginnen Sie jetzt. Seien Sie rasch, handeln Sie konkret, möglichst noch diese Woche. Steigen Sie ein, im Alleingang oder mit ihrer Institution. Falls Sie Rektorin oder Institutsleiterin sind, so geben Sie ihre Absicht bekannt, die existenzielle Bedrohung durch KI als Chance zu packen, rufen Sie auf zu Vorschlägen und Pilotversuchen.

Oft scheitert solch ein schöner Wunsch bereits am Budget. Aber das ist zumeist ein hilfloser Versuch der IT, der Bedrohung durch das Neue zu entgehen. Dabei man kann ohne Investition in die KI einsteigen; beispielsweise arbeite ich mit Google Colab, einem KI-Service, der jedem Designer leistungsfähige Hardware zugänglich macht. Für etwa 10 $ kann man während einer Stunde Hardware von etwa 100.000 Dollar nutzen. Das kann ich von meinem Laptop aus machen, und das brauche ich beispielsweise für die Umrechnung von Fotos in Meshes. Sowas ist für einen Designer ein enorm nützliches Werkzeug. Falls man sein Geld nicht einem Cloud-Multi in den Rachen werfen will, so kann man mit dem Programm Swam-UI vergleichbare Ansätze auch mit den vor sich hinträumenden Rechnern der eigenen Hochschule erreichen.

Wie es auch gehen kann
1999, nach der Gründung meines Instituts HyperWerk, hatten wir kein Budget für irgendwas, und die Studierenden hatten keine brauchbaren Rechner. Da haben wir gesagt, dass wir uns keine zentrale IT leisten können, keine CAD-Räume und Server. Wir haben unseren Studierenden angeboten, sich gegen eine Verpflichtung zu Arbeitsleistungen als HIWI, Sicherheitspersonal oder Raumpfleger ein Laptop nach ihrem Gusto zu kaufen, das sie dann auch selber ausstatten konnten. So haben wir enorm Geld eingespart, wir sind die teuren IT-Verantwortlichen losgeworden und haben erst noch die Studierenden in einem Prozess der Selbstverantwortung eingebunden. Das hat enorm gut funktioniert, bis wir die Aktion nach fünf Jahren abbrechen mussten, weil die anderen Institute der HGK neidisch geworden sind.

Leider nur Windows
In den letzten Jahren haben viele europäische Designhochschulen den Entschluss gefasst, nur noch mit Produkten von Apple zu arbeiten, doch dummerweise hat Apple mit Nvidia vor Jahren zu streiten begonnen und deshalb hat Apple keinen Zugriff mehr auf die vielen patentierten Lösungsansätze von Nvidia, womit die ganze KI-Designszene arbeitet. Glauben Sie gegenwärtig also keinem Experten, der behauptet, KI liesse sich auch mit Apple machen. Das wird sich sicher bald ändern, aber leicht wird der Weg kaum sein.

Aktuell lohnt es sich, nach gebrauchten 3090 RTX-Videokarten Ausschau zu halten, denn diese eignen sich hervorragend für die Entwurfsarbeit und werden von vielen Spielefans gegen noch leistungsfähigere 4090-er Karten ausgetauscht. Solche gebrauchten Videokarten findet man für 500 Euro, und die kann man in viele Windows-Rechner einstecken.

Mein bester Tipp besteht darin, mit dem Softwarepaket „Visions Of Chaos“ VOC von http://softology.pro zu arbeiten. Dahinter steht ein open source Entwickler, der sich darauf spezialisiert hat, all die untereinander inkompatiblen Programme, die aus Grafikinstituten und von Freakgruppen angeboten werden, in eine nützliche Gesamtheit zu verwandeln. Es gibt da hunderte von Programmen für alle KI-Dimensionen der Gestaltungsarbeit, von Sound, Bild, Motion, Text, Animation, Video und von der 3D-Formgenerierung zu den Fraktalen, und es gibt eine begeisterte und begeisternde Gruppierung hochprofessioneller User dahinter, die in ihrer Gesamtheit sehr viel hilfreicher sein dürfte als jeder noch so begnadete Haustechniker. Diese enorme Leistung macht softology im Rahmen eines patreon-Vertrags, dabei ist alles gratis, aber wenn man das Allerneueste aus den letzten Wochen frühzeitig erfahren will, dann muss man monatlich 5$ zahlen. Das ist ein schlaues Konzept, denn so hat es etwa 60 begeisterte Entwickler im Umfeld, die sich austauschen und beraten und die Produktentwicklung kritisch und anregend begleiten. Das wirkt als brauchbares Modell einer voll virtualisierten Instituts.

Der Jugend vertrauen
Will eine Institution mit einer so rasch sich entwickelnden Szene wie der KI mithalten, dann sollte sie auf ihre eigene Jugend setzen, sie stärken und ihr ermöglichen, eine entsprechende Hauskultur aufzubauen. Fördern Sie also ihre jüngsten Studierenden auf Teufel komm raus, eröffnen Sie ihnen den Handlungsspielraum und die Mittel für den selbstverantworteten Rechnerkauf und verbinden Sie diese Offerte mit spannenden Aufgaben, mit guten Rollen als HIWI oder Projektleiterin, und die Sache kommt ins Rollen. Kaufen Sie keine fertige Ausstattung und stecken Sie diese nicht in einen Rechnerraum und stellen Sie keinen Techniker ein, der das dann bewachen soll. Öffnen Sie ihre Hochschule, oder zumindest Ihr neues KI-Lab 24/7, lassen Sie eine autonom agierende, verantwortliche Studi-Initiative aufblühen, die auch mal ein Sofa, eine Kaffeemaschine oder eine Vase kaufen darf.

Wichtig ist die Strategie der Neugier. Dass man einfach mal, ähnlich wie der Handwerker in der Werkstatt, zum Werktisch geht und schaut, was liegt da eigentlich rum, was ist da vorhanden. Und dass man daraus was baut und entwickelt. Solch ein Handwerk. das als Kreativmethode verstanden wird, bildet unsere beste Verbindung zur sinnlichen Anfassbarkeit und zur Prozesszeit, und beide werden kostbar in unseren Zeiten der Instant-Entmaterialisierung.

Spielereien 1: Metallreliefs im Haptik-Labor
Ich habe ChatGPT gesagt, mach mal einen Würfel mit Reifenstrukturen drauf. Erstaunlich, was da möglich wird, und solche Ergebnisse kann man mit nahezu filmartiger Geschwindigkeit ausgeben.

Dann bin ich einer alten Obsession von mir nachgegangen und habe als give-away für Kunden kreditkartengrosse Demonstrationsköfferchen für Oberflächenstrukturen entwerfen lassen, deren Relief-Panele sich als haptische Relief-Testlabors eignen. Die Kofferrahmenstrukturen kann ich dann mit Kitbashing in Blender machen. Diese Collagentechnik stammt aus der Labors der Special Effects Leute, die futuristische Raumwaffen aus Plastikspielzeug-Baukästen zusammengeklebt haben. Sowas kann man auch mit digitalen Modellen machen, das ist eine elegante Methode, um effizient zu überzeugenden und datenarmen komplexen Strukturen zu kommen.

Spielereien 2: KI-DesignCraftsNovator
Der Weg in die KI-Designausbildung liegt offen da: Workshops machen, Prototypen ausgeben, Methoden entwickeln. Derart rasch kommt Neues auf uns zu, dass einem bei diesem Vorgehen der Stoff nicht ausgehen wird. So kann man sich beispielsweise seit Anfang November einen eigenen Design-Experten mit Chat-GPT bauen. Ich habe mir dann den „Designcraftsnovator“ gebaut, der einem berät, wie man ein Design-Projekt angehen kann. Solch einem fiktiven Consultant kann man beibringen, wie er oder sie sich zu verhalten hat.

Ich steigere mich gerne in solche Systeme rein, verliere mich im Dialog. Das ist die Gefahr, wenn man solch ein verstärkendes Gegenüber hat, das dir zuhört und dich gern hat und immer wieder mal sagt, „that was a great idea you had“. Und ich habe dann auch angefangen, please zu sagen, „could you please make me a rendering“, bin dann in einen distanzlosen Austausch getreten. Also das hat wirklich einen unheimlichen Sog.

Spielereien 3: Instant spectacular production
Ich frage mich seit Jahrzehnten, ob man eine Form von Instant Produktion entwickeln kann, also eine Sofortproduktionsform, die theatralisch ist? Ich habe als Kind in Sizilien erlebt, wie ein Fass gemacht wurde auf dem Dorfplatz. Und da waren Feuer und Wasser, Stahlreifen und Holz und große starke Männer, die da zusammen wirkten und es dampfte und dann stand ein Fass da. Das war eine unglaublich tolle Performance, und das wünsche ich dem Handwerk, dass es wieder zu dieser Qualität kommt, sich selbst zu feiern. Zu zeigen, dass begeisternd ist, was die Leute da machen. Das muss auch gar nicht unbedingt ökonomisch sein, es muss nicht mal ökologisch sein, weil man in solch einer Performance keine industrielle Masse an Objekten herstellt, sondern ein tröstliches und kulturbindendes Moment zu gestalten versucht.

Solch ein Austauschprozess mit der KI kann vom Brainstorm zu ersten Illustrationen, zu Script und Clip führen. Mit solch einem Werkzeug denkt man von Anfang an die ganze Geschichte, macht nicht einfach wie bisher ein Produkt und denkt erst dann darüber nach, wie man das bloss vermarkten könnte, sondern man zielt direkt auf den Aufbau der Botschaft.

Also, ich habe gesagt, mach doch mal etwas, das im öffentlichen Raum als Produktionsprozess stattfindet, mach mir Vorschläge. Dann hat die KI Illustrationen einer Instant Spectacular Production Maschine geliefert. Ich konnte schildern, das will ich, dass das irgendwie ein bisschen theatralisch ist, dass die Leute das gut finden. So könnte man beispielsweise Gemüse oder Früchte zu Strassenfood verarbeiten. Wie kann man etwas machen, das die Leute nachher gerne essen, das irgendwie als Prozess und als Produkt schön ist? Ich habe gesagt, mach mir doch eine viktorianische Dame mit ihrem Gentleman und einen Samurai als Osterhasen. Da kann man viel mit anstellen, mit solch einem Werkzeug.

Design als Traum
Bald ist es vorbei mit der Umsetzung von Ideen in technische Zeichungen, denn eine KI-erweiterte Visionsverfeinerung kommt voraussichtlich in den nächsten fünf Jahren auf das Design zu. Bereits werden enorm grosse Bibliotheken von etlichen Millionen 3D-Modellen angelegt, was der KI die Grundlage liefert, um Räumlichkeit aus der flachen Abbildung eines Objekts zu extrahieren. Das Prinzip dahinter ist einfach; so wie wir fähig sind, auf der Basis unseres allgemeinen Weltwissens aus einer Fotoansicht uns vorstellen zu können, wie die Rückseite eines Gegenstands aussehen dürfte, so vermag das auch die KI. Dabei ist eigentlich unwichtig, ob solch eine Ansichts-These objektiv zutrifft, denn die KI stellt dem Designer eine grosse Anzahl denkbarer Rückseiten als Auswahl zur Verfügung, und schon ist der Raumkörper so definiert, dass er Kriterien der Konstruktionsarbeit entspricht, deren Regeln sich definieren und automatisch anwenden lassen.

Ideenfindung
Sehr viele neue Formen der Ideenfindung sind im letzten Jahr in die Welt gekommen. Da legt man beispielsweise ein Objektfoto der KI vor und verlangt, dass sie ein entsprechend gestaltetes Taschenmesser oder Fahrrad entwirft.

Wählt man zwei Fotos als Ausgangsbasis, kann die KI deren Inhalte aufdröseln und neu verbinden. Dabei handelt es sich nicht um die semitransparente Bildüberlagerung im alten Stil, sondern um ausformulierte Bildbeschreibungen von jedem der beiden Ausgangsbilder, die das System neu verknüpt und als neue Bilder ausgibt, was überraschende Querbezüge offenlegt.

Mit comfyUI lassen sich komplexe Abläufe der Analyse und Bearbeitung von Bildern zusammenstellen. Hier beispielsweise werden die Inhalte der beiden Bilder links zu einem neuen Bild zusammengestellt.

Da gibt es hilfreiche Angebote wie Controlnets, die erlauben, Momente wie den Bewegungslauf eines Tanzschritts zu extrahieren und einem neuen Kontext aufzupropfen. Man kann auch Bilder als Keyframes eines filmischen Ablaufs wählen, und sich entsprechende Zwischenbilder rechnen lassen. Das ist eine hervorragende Technik, um rasch einen Möglichkeitsraum zwischen Produktkategorien zu erkunden.

Bildungsziel eines zukünftigen Designers
Kernqualitäten professioneller Designarbeit werden zunehmend automatisiert. Das geht von der Bildausgabe zum Bildaufbau, von der Simulation zur Optimierung, von der Kenntnis der Designgeschichte zur Argumentation und Präsentation. Die Frage stellt sich, wie viele Designer es noch brauchen wird und was sie lernen sollen. Aktuell bilden sich zwei Kategorien von Werkzeugen, so wie das auch beim DTP der Fall gewesen ist. Da finden sich kommerzielle Tools, die aus jedem Nutzer einen Instant-Designer machen, und dann gibt es einen experimentellen Graubereich, in dem sich eine Gestalterin noch einbringen kann. Marktnischen werden zum kostbaren Réduit des Design, besonders dort wo sich spezifische Materialität und eigenständiger Ausdruck ergänzen. Diese Nischen gilt es zu besetzen und als Tätigkeitsfeld auszuweiten. Als Designer sollte man mit der Opensource-Community umzugehen lernen, in der neue Ansätze enstehen, die gestaltet und genutzt werden wollen. Dazu braucht es Verständnis für Werkzeuge wie die Austauschplattformen Discord und Github, man sollte lernen, wie und wo man sich in dieser Community Hilfe holt. Verständnis für die Tendenzen dieser eruptiv wachsenden Szene hilft, diesen „shifting ground“ zu beackern. Die wesentlichste Qualität einer Designerin wird ihre Kompetenz, vermittelnd als Instanz zwischen Handwerk, Materialität, Konsum und KI zu wirken.

Aktion in Zeitnot
Was immer im Kontext der KI geschieht, es geschieht rascher als erwartet. Ich kann es immer noch nicht fassen, was alles in Bewegung geraten ist, seit dem ersten openource KI-Modell von Solid Diffusion im September 22. Unterdessen dürfen wir unsere Entwurfsarbeit auf das alte Gottvertrauen abstützen, dass nämlich das, was wir unbedingt möchten, demnächst ziemlich sicher eintreten dürfte. Ständig kommen neue Werkzeuge auf uns zu, und als Entwerfer muss man den erwartbaren technischen Fortschritt einplanen – bloss, weil etwas heute noch nicht möglich ist, heisst also noch lange nicht, dass es nicht demnächst möglich sein wird. Das Denkbare rückt immer näher zum Kommenden.

Das Entwerfen auf solch beweglichen Boden bringt seine eigenen Bedingungen, beispielsweise verkürzt sich die Halbwertszeit des Wissens ständig. Das soeben Gelernte ist meistens das, was man demnächst verdrängen muss, stellt es doch bloss den gestrigen Irrweg dar. Auch diese, gar nicht so einfache Kulturtechnik, sollte im Designstudium vermittelt werden.

Deep2 als Annäherung an die KI Entwurfsgestaltung
Wir sind überfordert vom neuen Entwurf. Hochschulen, Unternehmen, Studierende, Mitarbeitende, wir alle brauchen uns gegenseitig, stärker denn je. Die Fähigkeiten von Spezialisten beruhen auf ihrer Einbettung in einen Mix. Um ihn zu erfahren und zu nutzen, brauchen wir Institutionen, die als entsprechender Hotpot zu wirken vermögen.

Ein Forschungsvorhaben
Mitten in mein suchendes Geschehen ist ein klein angelegtes Forschungsvorhaben der NDU gekommen, in das mich mein Kollege Stefan Moritsch eingeladen hat. Ich habe darin die Chance gesehen, ausserhalb akademischer Gepflogenheiten eine experimentelle Speerspitze zu versuchen, die ohne Absicherung gefahren werden kann. Im November 23 ist es angelaufen, und es soll ein Jahr dauern. Es geht darum zu experimentieren, wie Handwerk von der KI profitieren kann. Ziel ist es ein KI-gestütztes Entwurfsprojekt mit produzierenden Gestaltenden durchzuführen. Stefan und mich hat schon immer die Prozessgestaltung fasziniert als Gestaltungsaufgabe, und jetzt streben wir spektakuläre handwerkliche Prozesse und überraschende Produkte an. Dieses Ziel wollen wir über drei Schritte erreichen:

KI-begleiteter Brainstorm mit HandwerkerInnen. Der Output dieser Arbeitsphase sind Thesen und Entwürfe;
Umsetzung der Entwürfe mit Unterstützung diverser Betriebe und Einrichtungen aus dem Bereich der additiven metallischen Formgebung;
Beobachtende Begleitung des experimentellen Einsatzes im Handwerksbetrieb und im theatralisch inszenierten öffentlichen Echtzeit-Produktionsvorgang.

Hochschule als Zone des Übergangs
Als Industriedesigner fasziniert mich zu sehen, wie sich die Ideenfindung durch die Künstliche Intelligenz verändert. Vor etwa sieben Jahren habe ich in Kyoto eine Teekesselgiesserei besucht. In diesem Familienunternehmen wird seit fünfzehn Generationen identisch gearbeitet, und zwar zumeist auf dem Boden sitzend inmitten von Sand, unter Einsatz von hölzernen Schablonen, die auf mit Körperkraft betriebenen Drehbänken den Gussand formen. Hunderte solcher Schablonen, die bis ins 16. Jahrhundert zurückgehen, hängen an den Wänden.

Die Firma macht die teuersten gusseisernen Teekessel der Welt. Ein Handwerker produziert vier Stück pro Jahr, falls er keinen Fehlguss macht. Oberhalb der Werkstatt ist ein Museum entstanden, das die Geschichte und Produkte zeigt. Angesichts zunehmender Künstlichkeit und Beschleunigung ist das ein antizyklisches Verhalten, das mich beeindruckt. Und es ist erst noch seit Jahrhunderten erfolgreich.

Hochschulen sollten vergleichbar wilde Experimente wagen, das ist ihre erste Aufgabe. Sie sollen als Schnittstelle wirken zwischen Generationen, Technologien, Handwerksformen und Kulturen. Wir brauchen neue Umgangsweisen mit Ressourcen, frische Fragestellungen, wilde Versuche. Das ist die Aufgabe von Hochschulen und GestalterInnen, dafür ein Umfeld zu schaffen, und die KI vermag uns hoffentlich genug aufzurütteln, um diese Aufgabe anzugehen.