Méliès_II: virtual production in Basel


Seit 2018 arbeiten Medienentwickler in Hollywood mit und an der “virtual production”. Kennzeichnende Qualitäten dieser neuen Filmarbeit sind die Produktionsmöglichkeit in Echtzeit, die photorealistische Überlagerung virtueller und realer Filmebenen sowie die gemeinsame und synchrone Arbeit auf einem dezentral bespielbaren Set. In den letzten zwei Jahren haben sich die entsprechenden Systemkomponenten geradezu sprunghaft entwickelt, und Spielfilme sind vor allem von Disney damit realisiert worden.

Regie und Schauspieler zeigen sich begeistert, denn mit dem neuen Ansatz “final pixel in camera” kommen spontane und improvisierte Qualitäten aus der Frühzeit des Films wieder zurück ins Studio. Zum Erfolg beigetragen hat ebenfalls der Corona-bedingte Entwicklungsschub hin zur Virtualisierung, da herkömmliche Studioproduktionen unter den aktuellen Bedingungen kaum mehr realisierbar sind.

Wir sind fasziniert von dieser Entwicklung und haben während den letzten zwölf Monaten unsere junge VR-Dorfschule “Ecole du VRisme” in Senones-dans-les-Vosges entsprechend fokussiert. Dabei haben wir erfahren, dass wir diese grosse Aufgabe unmöglich selber stemmen können, und dass es hilfreich wäre, unser Basler Netzwerk der KollegInnen zum Tragen zu bringen. Wir hoffen also auf die Begleitung und Unterstützung durch viele einzelne Fachleute der Region. Gemeinsam mit ihnen möchten wir frühzeitig und offen auf das aufkommende Potenzial reagieren, und dazu möchten wir einen entsprechenden Dialog in Gang setzen. In einer Reihe von Experimenten soll dieser Dialog zu einer Reihe von Kurzfilmen führen.

In der internationalen Szene der Medienproduzierenden, die sich parallel mit uns im grossen Feld der neu aufkommenden, virtuellen Produktionsformen bewegen, wollen wir uns mit unserem Projekt auf die Nische der Echtzeit-Produktion mit performativem Charakter und die damit einhergehenden Formen von Publikumspartizipation und Bühnenimprovisation fokussieren. Dank den sozialen Medien können wir uns am entsprechenden internationalen Dialog beteiligen. Diese Entwicklung geschieht dynamisch; so ist das nicht öffentliche Forum “virtual production” von Matt Workman innert eines Jahres auf über 35’000 Mitwirkende aus der Filmbranche gewachsen.   

Sowohl online als auch im Realraum sehen wir für eine virtuell erweiterte Filmarbeit vielfältige Ebenen attraktiver Vermittlungsarbeit, sei dies im Museum, auf der Bühne oder in der Bildung. Ausserhalb von professionellen Medienproduktionen gibt es bisher kaum Auseinandersetzungen mit dem neuen Ansatz, obwohl die entsprechenden Produktionsmittel ständig günstiger und leistungsfähiger werden. Sie eignen sich für Messeauftritte, Festivals und Theaterbühnen.

Unser Projekt heisst Méliès_II in Anlehnung an Georges Méliès, der in den ersten Jahren der Filmgeschichte gezeigt hat, wie ein narrativer Film mit Improvisation, Illusion und Medientechnologie bereichert werden kann. Diese drei Qualitäten kennzeichnen auch die virtual production, und so kann der Film wieder zur Leichtigkeit seiner frühen Versuche zurückfinden. Kennzeichnend für die Arbeit von Méliès war die enge Verbindung zur Bühnenarbeit, und so möchten auch wir unser Projekt vorerst in diesem Kontext positionieren. 

Unter den Vorzeichen einer zunehmenden Virtualisierung wird die alte Anfassbarkeit wieder wichtiger. Mit Méliès_II suchen wir nicht die Virtualisierung vermeintlich gestriger Requisiten und Bühnenbilder, sondern Ebenen des Austauschs zwischen dem virtuellen und physischen Aktionsraum. So sind wir fasziniert von allen Formen von Portalen zwischen den Realitäten, sei dies über greenlight-Lichtinstallationen mittels Videobeamer als Stanzleuchte, in welchen die Darstellenden ihre Körperlichkeit auflösen können, oder auch realen Türrahmen im Bühnenraum zum Betreten des virtuellen Hinterlands. Aus dem Business-Präsentationsbereich gibt es eine ganze Reihe von Requisiten, die wir ebenfalls umnutzen wollen. So die automatisch hochfahrenden Displays von pop-up-stores – wenn diese partiell grün bedruckt werden, lassen sie sich dynamisch während einer Performance mit dreidimensionalen Inhalten bespielen. 

Auf der virtuellen Seite gibt es vielfältige Kunstgriffe zur Immersionsverstärkung des Realbilds im virtuellen Umfeld. Beispielsweise einen Schneespuren-Effekt, mit dem man durch eine virtuelle Schneelandschaft  stapfen kann und dabei Spuren hinterlässt. Ebenfalls lassen sich künstliche Schattenwürfe rechnen, die sich der Lichtsituation und dem Bodenverlauf anpassen. Wesentlich bestimmt wird die immersive Qualität durch die dynamische Koppelung der virtuellen Kamera an die Transformationsmatrix und die gesamten optischen Parameter der Realkamera. Weitere Problembereiche zeigen sich beim sandwichartigen Bildaufbau, in welchem ein virtueller Hintergrund überlagert wird durch eingestanzte Bildelemente der Videoaufnahme, die wiederum durch virtuelle Vordergrundelemente verdeckt werden kann. 

Als Vorbild dient uns das japanische Bunraku Theater, in dem verschleierte Schauspieler Puppen bespielen und diese für sich agieren lassen; wo also beide Beschreibungsebenen, nämlich die Darstellende und die Dargestellte, gemeinsam wirken und sich dabei hochschaukelnd entwickeln. So bringt beispielsweise unsere Tänzerin Pascale Manigaud ihren virtuellen Elefanten, Krokodilen und Pferden alternative Schritte bei.

Das Basler Projektteam besteht aus vier Personen. Bei der Herstellung unserer Bühnenrequisiten berät und hilft uns der Handwerker und HGK-Dozent Rasso Auberger, während Ralf Neubauer unsere Bühnenversuche analysieren und für das Publikum neue Formen der Mitwirkung suchen wird. Als Unruhe im System wird uns die Künstlerin Marianne Büttiker in diesem offenen Geschehen anregend begleiten. Mischa Schaub wirkt als Projektleiter.

Zur Annäherung an diese anspruchsvolle Auseinandersetzung mit dem Spiel der Realitäten brauchen wir Gesprächspartnerinnen aus etlichen Kunst- und Vermittlungsbereichen und Anwendungsfeldern. Wir schlagen deshalb eine Reihe von Workshops mit Persönlichkeiten aus der Basler Region vor. Dabei denken wir an erfahrene Leute aus Museum, Bühne, Medienproduktion, Gesundheit, Tourismus, Bildung. Unsere explorativen Workshops wollen wir zur Vermittlung der Möglichkeiten an die eingeladenen Fachleute nutzen und dabei im Gegenzug ihre Positionen und Anregungen erfahren und in unseren prototypischen Produktionen nutzen. Ebenfalls ist die parallele Einbindung französischer Gesprächspartnerinnen vorgesehen. Für diese Workshops und Gesprächsrunden können wir unser entsprechend eingerichtetes Studio nutzen.

Wir verstehen Méliès_II als Vorprojekt für ein grösseres Folgeprojekt. Mit  Méliès_II möchten wir abklären, wie und mit wem sich in unserer Region die Methoden und Werkzeuge der virtual production optimal erproben lassen. Méliès_II soll uns also die Partnerschaften, Prototypen und Argumente liefern, die eine breit abgestützte sowie auf regional vorhandene Kompetenzen und Bedürfnisse ausgerichtete Recherche im Umgang mit dem neuen Arbeitsfeld ermöglichen sollen.

Unsere Workshops werden wir in den Sommermonaten 2021 zwei Autostunden von Basel entfernt im Medienkloster Senones durchführen, wo unsere Partnerin, die “Ecole du VRisme”, seit 2019 mit improvisierten Mitteln ein VR-Studio und ein Team rund um die Virtual Production aufbaut. 

Mit Méliès_II wollen wir virtuell erweiterte Improvisation erfahren und ausreizen. Gemeinsam verfolgen wir die Vision einer kooperativen Filmproduktion, die performative und interaktive Momente zum Tragen bringen soll. Verbinden soll sie träumerische Freiheit mit zumindest partiell photorealistischer Umsetzung. Als Ergebnis erhoffen wir uns angeregte Dialoge zu prototypischen Anwendungsskizzen in den beteiligten Disziplinen. Die entsprechenden Filmclips sollen im Herbst 2021 in einem performativen Live-Anlass in Basel vorgestellt und zur öffentlichen Diskussion genutzt werden. Ebenfalls ist eine Distribution via Web sowie im Herbst 21 ein Auftritt an der Ars Electronica vorgesehen.

 

Angaben zu Kooperationen und zur Produktionsstruktur 

Méliès_II wird von zwei Institutionen betrieben, nämlich der Basler Stiftung Virtual Valley und dem französischen Verein “Ecole du VRisme”. Diese beiden noch jungen Institutionen sind von Mischa Schaub gegründet worden, der bis 2017 das Institut HyperWerk der HGK FHNW geleitet hat. Die Ecole du VRisme wirkt im Medienkloster von Senones (Vosges), in welchem Schaub 2017 die ehemalige Aussenstelle von HyperWerk als Nachmieter übernommen hat. Dieser Standort bietet unterdessen kostengünstige und grosszügige Voraussetzungen für die kreative Teamarbeit, sowie Räume für Produktion, Experiment, Ausstellung und Aufenthalt. Die Schulräume werden von der Stadt Senones unentgeltlich zur Verfügung gestellt.

Für die Produktion stehen attraktive Räume, leistungsfähige Hardware, erfahrene AnwenderInnen sowie ein gegen ein symbolisches Gehalt arbeitendes Team zur Verfügung. 

 

Zeitplan 

  • Februar bis Mai 2021: Weiterer Studioausbau für Virtual Production, Technikversuche, Kreativtests, Kontaktsuche
  • Juni bis August 2021: Explorative Workshops in Senones
  • September 2021: Präsentation Basel (gewünscht wären: Foyer Theater Basel, Kulturkaserne, Foyer Universität BS), Präsentation in der Abtei von Senones, ebenfalls versucht wird ein Auftritt an der Ars Electronica, Linz.

 

Angaben zur geplanten Auswertung (Ausstellung, Festival, Internet etc.) 

Verbreitung der Workshop-Filme via Websites von vrisme.fr , virtualvalley.ch  , vimeo.com , Erwünscht wäre die Vorstellung via Regional-TV Sender Basel und Vogesen, ebenfalls versucht wird eine Projekteingabe beim Medienfestival Ars Electronica, Linz

Die eigentliche Auswertung von Méliès_II besteht im Aufbau einer gesellschaftlich breit abgestützten Trägerschaft. Sie bildet die Voraussetzung zur Umsetzung regional relevanter Anwendungen mit Mitteln der virtual production in den Folgejahren.

 

Regionaleffekt

Der angestrebte Regionaleffekt besteht darin, dass in einem strategisch wichtigen, neu entstehenden Arbeitsfeld der digitalen Medienproduktion eine regionale Interessen- und Marktabklärung durchgeführt wird. Ebenfalls angestrebt werden die Netzwerkbildung und Weiterbildung der TeilnehmerInnen sowie der Aufbau einer grenzüberschreitenden Handlungskompetenz im Umgang mit dem neuen Potenzial. Die Resultate dieser Abklärung sollen mit öffentlicher Wirkung im Herbst 2021 vorgestellt werden. Beispielsweise im Foyer des Stadttheaters oder in der Kaserne. Damit wollen wir flexibel und dialogisch auf den sich beschleunigenden Wandel der Medienarbeit im kulturellen Kontext reagieren.

 

Bestätigungen bereits vorhandener Finanzierungszusagen

Seit Anfang 2019 bauen die Projektträger die Voraussetzungen auf, um Projekte wie Méliès_II umsetzen zu können. Diese Vorleistungen sowie die damit einhergehenden räumlichen und technischen Ressourcen werden hiermit von der Basler Stiftung Virtual Valley, dem französischen Verein Ecole du VRisme und der Ville de Senones dem Projekt Méliès_II zur Verfügung gestellt. 

 

Personen und Rollen

Alexandre Abbes  : Programmierung / Ecole du VRisme, Senones

François Toussaint  : Bühnentechnik  / Ecole du VRisme, Senones

Marianne Büttiker : Improvisation & Performance: Bildende Künstlerin, Basel

Mischa Schaub : Projektleitung und Rahmenkonzept / Stiftung Virtual Valley, Basel

Pascale Manigaud : Kamerafrau, Tänzerin / Ecole du VRisme, Senones

Ralf Neubauer : Medientheorie: Dozent HGK FHNW, Basel

Rasso Auberger : Materialität und Handwerk für Bühnenobjekte: Dozent HGK FHNW, Basel

 

Virtual Valley und école du VRisme

Die Stiftung Virtual Valley wurde Ende 2017 von Mischa Schaub und der Schriftstellerin Friederike Kretzen in Basel gegründet. Gemeinsam mit Prof. Lucas Burkart (Departement Geschichte / Universität Basel), Prof. Astrid Schwarz (Allgemeine Technikwissenschaft / Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg) und dem Dozenten Rasso Auberger (HyperWerk, HGK FHNW) bilden sie den fünfköpfigen Stiftungsrat. 

Eine wichtige Stiftungsleistung wurde 2018 in enger Zusammenarbeit mit der Basler Universität erbracht, nämlich mit der Konzeption und Umsetzung der virtuellen Jubiläumsinstallation zu Jacob Burckhardt, die im Historischen Museum Basel, im Nationalmuseum Zürich und in Nagasaki, Japan ausgestellt worden ist. Ebenfalls hervorzuheben ist Anfang 2019 die Gründung und der Aufbau einer Dorfschule zur Virtualität in den französischen Vogesen (Verein Ecole du VRisme). Sowohl die Stiftung als auch der Verein werden als nicht profitorientierte, gemeinnützige Institutionen durch den Verband “Stifterhelfen” anerkannt  und unterstützt. 

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